zum 3. Advent 2020.

Es ist 2023. Das Corona-Virus ist nicht besiegt. Nach dem harten Lockdown 2020/21 hat sich herausgestellt, dass es keinen Impfstoff geben wird. Und so leben alle Menschen seit über zwei Jahren im harten Lockdown. Diejenigen, die sich infiziert haben, sind teilweise gestorben, teilweise haben sie die Pflege der Erkrankten übernommen. Immun sind sie jedenfalls nicht.

Alles hat sich verändert. Einkaufen in Schichten zu festen Zeiten, die man im Voraus buchen muss. Manche findigen Geschäftsleute haben Lieferdienste gegründet und verdienen sich eine goldene Nase, zumindest solange, bis sich eine Mitarbeiterin angesteckt hat und alle in Quarantäne sind.

Die Schulen und Turnhallen wurden umgebaut zu Behelfskrankenhäusern, der Unterricht findet ohnehin nur noch digital statt.

Es ist einfach alles schief gegangen; wir haben’s nicht geschafft. Aus der ersten und zweiten Welle wurde ein hoffnungsloser Dauerzustand. Aus der freiheitlichen Gesellschaft wurde eine Gesellschaft im Exil.

II. Das babylonische Exil

Auch die Kirchen sind schon längst geschlossen, ihre Gottesdienste und Veranstaltungen finden nur noch online statt. Am Anfang war das alles ziemlich holprig; inzwischen geht es ganz gut.

Es ist Advent. Andreas, ein Konfirmand, ist rechtzeitig wachgeworden und sitzt endlich mal wieder an seinem MacBook und nimmt am Online-Gottesdienst teil. Dabei hört er die Lesung für den Dritten Advent, den Anfang des vierzigsten Kapitels des Jesajabuches:

Lesung Jes 40, 1-11

bibelwissenschaft.de

forts. II. Das babylonische Exil

Andreas kann dem Gottesdienst kaum folgen, seine Gedanken hängen noch immer an dem Text.

Das Volk Israel ist im babylonischen Exil, weit weg von der Heimat. Nichts ist dort, wie es zuhause ist. Alles ist fremd.

Das haben die Babylonier häufiger so gemacht: die eroberten Völker wurden in ihre Stammheimat exiliert. Das war aber nicht unbedingt deren Nachteil. Es ging des Israeliten dort eigentlich recht gut, sie konnten sogar richtig Karriere machen! Viele Angehörige der Jerusalemer Oberschicht konnten bis in die höchsten Ränge im Beamtenapparat aufsteigen.

Aber es ging ihnen psychisch schlecht, sie hatten Heimweh nach Jerusalem. Und sie zweifelten auch an der Allmacht ihre Gottes: Wenn Israel erobert und vertrieben werden konnte, was ist das dann für ein Gott, der sich einfach vertreiben lässt und sein Volk im Stich lässt?

III. Lösung?

Die israelitischen Theologen haben das kurzerhand ganz einfach gelöst: Das Volk Israel hat Schuld und Sünde auf sich geladen und deshalb musste es zur Strafe vertrieben werden.

Andreas fragt sich kurz, welche Schuld und Sünde die Menschheit auf sich geladen hat, dass Gott das Corona-Virus geschickt hat? Ist es die fehlende Motivation beim Klimaschutz? Sind es die vielen hungernden Menschen in der dritten Welt? Sind es die vielen Kriege weltweit, die so vielen Menschen das Leben kosten?

Er kann sich kaum noch an sein letztes, normales Weihnachten erinnern, er war gerade zehn Jahre alt. 2019 ist er auch das letzte Mal im Urlaub gewesen und war Skifahren. Seitdem gibt es das alles nicht mehr.

Wie er sich das ganze Jahr darauf gefreut hat! Auch seine Eltern: sie haben das ganze Jahr gespart, viel gearbeitet und hatten wenig Zeit für ihn. Aber dann, einmal im Jahr, ist die ganze Familie nach Spanien oder in die Karibik geflogen und alle haben sich von den ganzen Strapazen erholt. Sie waren am Meer, in der Natur und hatten so richtig viel Spaß!

Doch 2020 wurde dann alles anders.

Man durfte nicht in den Urlaub fliegen, man durfte niemanden mehr besuchen, man durfte schließlich nicht einmal mehr das Haus verlassen. Außerdem hatten alle Angst, sich anzustecken.

Andreas hat schon gemerkt, dass das schwierig war für seine Eltern. Dazu kam dann auch noch die Angst um ihren Arbeitsplatz. Ganz kurze Zeit wollten sie es nicht wahrhaben, wollten unbedingt gerade noch so wegfahren, haben Schlupflöcher gesucht, überlegt, welche Länder keine Risikogebiete waren, ob man sich testen müsste, sie haben uns sogar alle testen lassen! Aber es half nichts. Es ging nicht. Seine Eltern waren dann in Kurzarbeit und nichts ging mehr. Spätestens, als Oma Hiltrud dann an Corona gestorben ist, mussten sie es einsehen.

IV. Sünde und Schuld?

Andreas fragt sich, ob es das wert war? Wie oft hat er seine Eltern vermisst in all der Zeit? Wie oft hat er gemerkt, dass seine Eltern vollkommen gestresst waren? Wie oft hat er selber kaum noch Land gesehen, bei den ganzen Schularbeiten, die er zu tun hatte? Wie oft konnte seine Mutter nicht einschlafen? Wie oft war sein Vater wütend und gereizt? Wie oft konnten sie Oma Hiltrud nicht besuchen, weil sie keine Zeit hatten?

Ob sich die Menschheit Schuld und Sünde aufgeladen hat? Andreas weiß es nicht.

Aber er spürt, dass es irgendwie gut war, dass allen der Stecker gezogen wurde. Irgendwie ist doch Ruhe eingekehrt. Alle hatten mehr Zeit für sich selbst und für einander. Es hat sich die Spreu vom Weizen getrennt, was einem wirklich wichtig ist oder was man nur tut, damit man es eben tut, quasi für die anderen. Andreas hat zum Beispiel gemerkt, dass er den Sportverein so überhaupt nicht vermisst. Warum ist er all die Jahre dorthin gegangen?

V. „Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.“

„Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.“

Jes 40, 1

Was soll das bedeuten?

Wieso müssen wir getröstet werden? Weil alles anders geworden ist? Weil unsere Pläne nicht aufgegangen sind? Weil die Urlaube geplatzt sind? Weil so viele liebe Menschen gestorben sind? Weil es immer noch keine Lösung gibt? Weil wir Heimweh nach der „guten alten Zeit“ vor Corona haben?

Und was ist dieser Trost?

Für die Theologen im babylonischen Exil war das die Rückkehr nachhause, nach Jerusalem, zum Tempel dort, die Rückkehr zum alten Muster, zum Bewährten.

Für die Israeliten, denen es gut ging, die Karriere machen konnten, aber? Vielleicht eben genau das? Vielleicht ist der Trost genau das, dass sie eben gut leben können, auch unter anderen Umständen?

Und was ist mit uns?

Sicher. Vor Corona war alles besser. Zumindest vielleicht.

Andreas findet den Distanzunterricht aber gar nicht so schlecht. Und seine Mutter liebt den Lieferservice, hatte sie doch selten Lust auf die überfüllten Supermärkte. Alle arbeiten weniger, haben mehr Zeit füreinander.

Was ist denn dieser Trost?

Gott ist der Schöpfer aller Dinge. Von Israel. Von Babylon. Vom König Cyrus. Vom Corona-Virus. Von Stress. Von Entspannung. Von Angst. Von Freude. Von allen Dingen eben. Er ist der HErr über alle diese Dinge. Was er schafft, das ist gut.

Vielleicht ist es der Trost, dass Gott immer der Lichtblick ist? In allem, was passiert? Dass die Israeliten trotz des Exils ein gutes Leben führen konnten? Dass das Corona-Virus uns alle bedroht und wir doch irgendwie auch Vorteile haben? Dass dieser landesweite Stillstand auch Vorteile hat?

Vielleicht ist es der göttliche Trost, dass alles zwei Seiten hat, dass nichts wirklich nur ausschließlich schlecht ist und nichts wirklich nur ausschließlich gut – zumindest nicht immer und für jeden.

Vielleicht spendet Gott dadurch Trost, dass er immer irgendwie einen Weg aus der Misere zeigt? Dass er die Bahn ebnet, Täler aufbaut und Berge niederreißt, dass er Krummes gerade macht?

Vielleicht denken wir Menschen irgendwie auch zu eng? Weil wir nicht den großen Überblick haben, quasi nicht die göttliche Perspektive einnehmen können. Wer weiß schon.

Wenn es so wäre? Dass der Trost nicht im Gestern liegt sondern darin, dass es ein Morgen gibt?

Das würde Andreas irgendwie glücklicher machen als es jeder Urlaub hätte tun können. Denn es geht vorwärts, es kann nur besser werden. Er hofft’s jedenfalls – und ist sich dabei ganz sicher.

siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.
Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

Jes 40, 20f.

Amen.

Siehe auch: https://kirche-altensittenbach.de/blog/2020/12/13/wenn-corona-will-steht-in-bayern-fast-alles-still-update-273-vom-13-12-2020/; https://kirche-oberkrumbach.de/2020/12/13/wenn-corona-will-steht-in-bayern-fast-alles-still-update-273-vom-13-12-2020/

Alexander
Dozent in der Erwachsenenbildung ~ Referent ~ Theologe

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