Der Gründonnerstag ist ja ein etwas seltsamer Feiertag. Die Passionszeit findet in dieser Heiligen Woche eigentlich ihren Höhepunkt am Karfreitag. Und vom Karfreitag her gesehen ist diese Woche eigentlich still, andächtig, fast wie in Trauer.
Dennoch sehen Sie heute weiße Paramente, wir haben das große Gloria gesungen, die Glocken haben dazu geläutet und nach der Heiligen Beichte feiern wir gleich Heiliges Abendmahl in besonders festlicher Weise. Das ist gewissermaßen ein in der Karwoche, die doch unter dem Leiden und Sterben Jesu im Schatten liegt.
Gleichzeitig schauen wir zurück auf Weihnachten, auf Jesu Geburt. Da hat seine Begleitung für uns den Anfang genommen, da kam Gott in die Welt und zu uns und wurde wie wir — ein Mensch.
Als dann die Verhaftung durch Judas‘ Verrat schon besiegelt war, — Jesus wusste das alles schon vorher! — lud er zum Abendmahl, zum Abendmahl mit Brot und Wein, mit Leib und Blut, mit Teller und Kelch. Damit hat er eine Tradition eingesetzt, die wir bis heute leben und fortführen.
Darüber schreibt Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth, im 10. Kapitel:
I. Ein Kelch, ein Brot.
Gemeinschaft haben heißt, miteinander zu essen und miteinander zu trinken. Ich erinnere mich an meine Kindheit: Wann immer wir meine Großeltern besucht haben, gab es etwas zu essen. Ganz besonders plastisch erinnere ich mich an die Mittagessen bei meiner väterlichen Großmutter in Niederbayern. Wir sind morgens losgefahren und waren meist gegen 12 Uhr dort, wobei wir kurz vorher noch über eine Ampel mussten, die grundsätzlich rot war. Und wir haben Wetten abgeschlossen, ob sie jetzt vielleicht mal grün ist. Dort angekommen, nach kurzer Zeit, gab es Mittagessen, gut-bayrisches Essen, mit Knödeln und Sauerkraut, mit Grünkohl oder Nudeln. Die Oma kocht halt am besten.
Das war jedes mal eine wunderbare Erfahrung, aber nicht nur, weil’s lecker war, sondern auch, weil das für mich Familie symbolisiert hat, daß ich dazu gehöre, daß ich ein Teil eben dieser Familie bin, die für mich sorgt. Und wir haben auf einander geachtet, einander das Essen gereicht, eingeschenkt, die Reste gerecht verteilt. Da war Gemeinschaft, da war Fürsorge und Liebe und wir gehörten alle zusammen.
So ist es heute noch, auch wenn meine Oma nicht mehr lebt und wir die zwei Feste im Jahr jetzt anders feiern. Aber immer wird gemeinsam gegessen, alle kommen zusammen und sind eine Familie.
Gemeinsam Essen bedeutet, zusammen zu gehören. In der Bibel ist das ein wiederkehrendes Motiv. Lot beherbergt und verpflegt die drei fremden Männer; und im Gleichnis vom verlorenen Sohn wird nach dessen Rückkehr ein großes Fest gefeiert mit bestem Essen und viel Wein.
Die Pandemie hat all das erschwert und verändert. Plötzlich war all das gefährlich, wir mussten aufpassen, uns gegenseitig schützen und das hat alles schwieriger gemacht, manches auch zerstört. Die Familien und Freundschaften, unsere ganze Gesellschaft wurde in der Pandemie noch viel mehr als vorher der Zersplitterung preisgegeben: Wir sind allein zuhause geblieben im Homeoffice, unsere Kinder sind allein zuhause geblieben im Homeschooling, wir sind allein einkaufen gegangen, sind allein daheim geblieben und haben unsere Kontakte eingeschränkt. Wie ein Spiegel oder ein Geschirrstück, das auf den Boden fällt; was vorher ganz war, war nun zersprungen… Und die Maske tat ihr Übriges dazu.
Wenn ich früher auf Fortbildungen war und gemeinsam gegessen wurde, dann wurde viel gelacht, diskutiert und gesprochen. Das gehörte dazu, beim Frühstück wie beim Abendessen und mittags sowieso.
All das hat sich zersplittert, all das hat sich verändert. Bei den Familientreffen haben wir uns in Schichten organisiert oder Feiern ganz abgesagt; an gemeinsames Essen war nicht mehr zu denken. Und bei den Fortbildungen wurden wir in Schichten versorgt, saßen zu zweit an einem Tisch mit maximalem Abstand und einer Scheibe zwischen uns.
Genauso hat sich das gottesdienstliche Leben verändert. Wo wir früher noch sorgenlos, ohne nachzudenken und ohne schlechtes Gewissen singen, lachen, uns umarmen, uns die Hände geben und Abendmahl feiern konnten, war zeitweise kein Gottesdienst möglich, kein Singen möglich, keine Nähe möglich — keine Gemeinschaft.
II. Ein Leib.
Als Jesus das Abendmahl eingesetzt hat, sah das ganz anders aus. Die Jünger saßen um ihn herum, es wurde sicherlich gefeiert, getrunken, gegessen. Sie haben sich einander den Wein gereicht und die Speisen, sie haben vielleicht sogar von denselben Tellern gegessen. Sie haben Gemeinschaft gelebt, die Gemeinschaft untereinander und die Gemeinschaft mit ihrem Jesus.
Doch Jesus wusste, daß das so nicht bleiben würde, er wusste, was auf ihn und die Jünger zukommen würde, er wusste von dem Verrat. Er wusste es lange vor ihnen. Dennoch feierte er hier das erste Abendmahl. Gemeinsam mit seinen Freunden, und aß und trank mit ihnen, teilte das Brot und gab ihnen den Wein.
Damit hat er eine Tradition begründet, die die Jünger dann fortgeführt haben. Von den Emmausjüngern wurde Jesus sogar am Brotbrechen, am Abendmahl überhaupt als Christus erkannt. Und bis auf den heutigen Tag machen wir dies genau so.
Ich frage mich: Was heißt es, Abendmahl zu feiern? Was bedeutet das? Worum geht es dabei?
Es heißt: Gemeinschaft haben. Und zwar im umfassenden Sinn, denn es geht dabei um zwei Dimensionen der Gemeinschaft:
Wie jedes andere Essen schafft es Gemeinschaft unter den Menschen. Wenn wir jetzt gleich Abendmahl feiern, dann tun wir dies zusammen. Heute dann sogar im Kreis, fast wie früher. Wir stehen dann zusammen vor Gott und essen. Wie bei meiner Großmutter, am reich gedeckten Tisch, wie bei Jesus, Essen und Feiern. Eigentlich würden wir dies von *einem* Brot und aus *einem* Kelch tun, aber wir müssen das etwas anpassen, dazu sage ich später dann mehr.
Im Abendmahl werden wir zu einer echten Gemeinde, zu einer echten Gemeinschaft, wie zu einer Familie. Im Abendmahl gehören wir alle zusammen.
III. Ein Herr.
Doch es gibt noch eine zweite Dimension, und die dürfen wir niemals vergessen: Wir haben im Abendmahl auch Gemeinschaft mit Gott.
Jesus ist es, der das Abendmahl mit uns feiert. Wir sind seine Gäste, er teilt sich uns selbst aus, er ist in Brot und Wein gegenwärtig. Wenn ich dann die Liturgie bzw. die Einsetzungsworte singe, dann singt eigentlich Christus durch mich, dann lädt Christus durch mich ein, ich leihe ihm nur die Stimme.
Das ist der Knoten, der den Sack zubindet. Wir sind eben nicht nur eine fröhliche Truppe, die zusammen isst und trinkt. Wir sind mit Jesus verbunden und er mit uns, wir essen ihn und nehmen ihn in uns auf, so wie er uns in sich aufnimmt, in ihm und mit ihm und durch ihn.
Es sind viele Splitter, viele Glieder, aber es ist ein Leib; es ist ein Herr, der jede einzelne und jeden einzelnen von uns zu sich ruft und in seine Gegenwart hineinholt. Damit hat die Zersplitterung dann ein Ende. Das ist die ultimative, mystische und kosmische Einheit, das Ganz-Sein, das Mit-Gott-Sein. Denn Gott selbst ist gegenwärtig und bietet sich uns an. Gerade das Abendmahl ist ein starkes Symbol! Denn es vergegenwärtigt die Ein-heit, das Zusammensein, das ein-Ganzes-Sein. Wenn wir aus *einem* Kelch trinken, dann sind wir gemeinsam gegenwärtig, verbinden uns zu einer Gemeinschaft, dann wird alles ganz. Und das sakramentale Wunder ist eben: Jesus ist jedes mal mit dabei. Er ist es, der sich uns hingibt, in seinem Leib und Blut.
IV. Conclusio.
Damals hat es begonnen: Gott schenkt sich uns. Mit dem Gründonnerstag nimmt es seinen Anfang, den Anfang vom Ende vom Anfang. Jesus weiß, was auf ihn zukommt, wir wissen, was auf uns zukommt.
Am Karfreitag morgen hören wir, wie Jesus gebrochen wird und sein Blut vergossen. Damit wird die Metapher vom Abendmahl vollständig und die Erlösung, die er für uns vollbracht hat, offenbar.
Wir haben bereits alles erhalten: Durch seinen Tod haben wir das Leben, der Schuldschein ist bezahlt, der Vorhang zerrissen, der Weg liegt frei; wir haben die Auferstehung und das Leben.
Er lädt uns ein. Zur Gemeinschaft mit ihm. So wie es im Anfang war.
Wir müssen nur danach greifen und’s nehmen und essen und trinken.
Amen.