zum 3. Advent 2021.

Was ich jetzt sage, das klingt wie ein hilfreicher Kalenderspruch oder der Titel eines Ratgeberbuches: Wir alle sind Architekten unseres Lebens. Viele Menschen sind darin regelrechte Meister, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Das Ganze geschieht dann oft auch online im Internet auf Instagram oder Facebook oder dergleichen. Dort wird sich dann perfekt dargestellt, alle Ecken abgerundet, alle Kanten gebrochen, jede Unreinheit im Gesicht retouchiert, der ganze Lebenslauf wird aufgehübscht und möglichst perfekt dargestellt. Planänderungen, Umwege und Wendungen gelten als Makel und werden umgedeutet.

Lesung 1Kor 4, 1–5

II. Schatten

Unser Leben ist voller Schatten: Verletzungen der Vergangenheit, die uns den Mut nehmen. Ängste vor der Zukunft, die uns lähmen. Dummheiten, die wir gemacht haben, schwere Fehler, die wir begangen haben, die uns nachts nicht schlafen lassen. Unsere Schwächen, unsere Unvollständigkeit, unsere Kraftlosigkeit, unsere Machtlosigkeit, unsere Kleinheit, unsere Bedeutungslosigkeit. Unsere Geschöpflichkeit, unsere Abhängigkeit von Gott. Und unsere Sündhaftigkeit. Und auch unsere Sterblichkeit.

Ich spüre selbst den Drang, dem etwas entgegen zu setzen, meinen Plan als Architekt meines Lebens umzuändern. Und ich sehe da erstmal zwei Wege:

Erstens: „Fake it, till you make it!“ – tu so als ob, bis du’s kannst! Strahle maximale Kompetenz aus, trotz absoluter Ahnungslosigkeit. Verhalte dich und stelle dich dar als ob du keinerlei Fehler hättest, als ob du perfekt wärst. Gib nichts von dir preis. Gehe keine engen Beziehungen ein. Sei erbarmungslos. Gnadenlos. Zeige kein Mitgefühl. Verdränge die Schatten, dann sind sie weg. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Das ist der Weg in die Unmenschlichkeit. Wer so lebt, der ist vielleicht erfolgreich, aber wird doch nichts erreichen. Solche Menschen findet man oft in Führungspositionen. Aus irgendeinem Grund können sie ihre eigene Enge nicht akzeptieren und verdrehen und verblenden ihr ganzes Leben, um sich damit nicht auseinandersetzen zu müssen. Jeder Gedanke an die Schatten bedroht die eigene Stabilität, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Ich sehe noch einen zweiten Weg: Tu einfach gar nichts. Strahle nichts aus, dann sieht dich niemand. Verhalte dich und stelle dich dar als ob du nicht existieren würdest. Betone das Glück, das du hast, nicht deine Kompetenz. Sei jedermanns Liebling. Sei beugsam. Sei unterwürfig. Stecke zurück. Kultiviere deine Schatten. Steig in sie hinein. Sei der Schatten und verschwinde in den Schatten.

Das wiederum ist der Weg in die Depression. Diese Menschen „salzen nicht mehr und stellen ihr Licht unter den Scheffel,“ sie geben sich ihrer Schwachheit völlig hin. Auch diese Menschen werden nichts erreichen, denn sie sehen ihre Stärken nicht, das, was sie eigentlich als Mensch ausmacht. Sie verdrängen dies. Vielleicht, weil sie nie glänzen durften, weil sie nie wichtig waren, weil sie nie jemandem etwas bedeutet haben, weil sie nie so sein durften, wie sie sind. Irgendwann wird all dies dann zur Persönlichkeitsstruktur und jeder Gedanke daran, dass es anders sein könnte, bedroht die eigene Stabilität, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Beide Wege führen ins Verderben. Beide Wege führen ins vernichtende Urteil der Menschen. Beide Wege bringen einen nicht weiter.

III. Umkehr

Oft ist die Rede von Umkehr.

Wenn Johannes der Täufer von Umkehr spricht, meint er die Umkehr von der Sünde, ganz ähnlich wie die alten Propheten: Tu, was Gott von dir verlangt, dann wird Gott dir gnädig sein. Fast also wie der erste Weg, der der Verleugnung.

In diesem Sinne der Umkehr gibt es nur einen Weg: den weg von den Schatten und hin zu einer wie auch immer gearteten Perfektion. Es gilt das „ganz-oder-gar nicht-Prinzip“. Und du musst es schaffen, scheitern ist nicht.

Ich bin der Meinung, das erschafft wiederum Schatten.

Freilich, es ist sinnvoll, bestimmte Dinge darf man nicht tun, da muss man umkehren: Morden ist verboten, aus gutem Grund. Stehlen und Lügen eben so. Aber oft wird diese Form der Umkehr so gedeutet, dass es noch mehr konkrete Regeln gibt, wie das auszusehen hat; dass es eindeutige Zeichen gibt, die auf die erfolgte Umkehr hindeuten. So z. B. bei den Calvinisten: Der Mensch muss umkehren und sich zu Gott bekehren und gerecht sein. Und wer ein bekehrtes, umgekehrtes und Gott gefälliges Leben führt, dem wird’s gut gehen, der wird Reichtum haben, der wird einen guten Stand haben.

Damit wären wir wieder beim Anfang: Der Mensch ist der Architekt seines Lebens. Er optimiert seine Außendarstellung. Bis er als Gerechter wirkt, bis er als Gott gefällig wirkt, bis er perfekt wirkt.

Dies alles erschafft wiederum Schatten.

IV. Echte Umkehr

Ich glaube, es gibt noch einen dritten Weg. Und ich bin mir sicher, er führt zur Seligkeit: Licht!

Christus spricht: „Ich bin das Licht der Welt!

Ich meine hier jetzt nicht so ein funzeliges Licht, wo man sagt: „Wo viel Licht, da viel Schatten!“ Ich meine ein Licht, das alles alles ALLES ausleuchtet und durchdringt, dass keinen dunklen Fleck, keinen Schatten unsichtbar lässt.

Dieses Licht wird alles erhellen und aufdecken. Verletzungen der Vergangenheit, die uns den Mut nehmen. Ängste vor der Zukunft, die uns lähmen. Dummheiten, die wir gemacht haben, schwere Fehler, die wir begangen haben, die uns nachts nicht schlafen lassen. Unsere Schwächen, unsere Unvollständigkeit, unsere Kraftlosigkeit, unsere Machtlosigkeit, unsere Kleinheit, unsere Bedeutungslosigkeit. Unsere Geschöpflichkeit, unsere Abhängigkeit von Gott. Und unsere Sündhaftigkeit. Und auch unsere Sterblichkeit.

All das wird offenbar. Jeder Plan, den wir geschmiedet haben, jede Architektur, die zusammengebrochen ist und ersetzt wurde.

Das ist Umkehr! Also nicht Umkehr weg von etwas, sondern Umkehr hin zu etwas, nämlich zum Licht hin, zum Licht vom Licht, zu Jesus Christus, zu Gott. Denn ihm bleibt nichts verborgen, er kennt unsere Wege.

Er kennt aber auch unsere Stärken: Die Ressourcen unserer Vergangenheit, die uns ermutigen. Die Zuversicht für die Zukunft, die uns trotzdem manchmal stärkt. Die Dummheiten, aus denen wir gelernt haben, die schweren Fehler, die wir versucht haben, wiedergutzumachen. Unsere Stärken, unser ehrliches Bemühen nach Vollständigkeit, unsere Kräftigkeit, unsere Größe, unsere Wichtigkeit für Gott, denn wir sind seine Kinder. Unsere Geschöpflichkeit, unser Leben, das uns geschenkt ist, Gottes Gnade, dass er uns versorgt. Unsere Erlösung. Unser ewiges Leben bei ihm.

Das ist vielleicht erst einmal gruselig für die, die den ersten Weg der Verdrängung und des Größenwahns gehen, die ihre Außendarstellung optimieren und sich keinerlei Blöße geben. Oder für die, die sich lieber ihren Defiziten hingeben und den zweigen Weg der Depression beschreiten.

V. Licht

Gott weiß inzwischen, was es heißt, Mensch zu sein. Er ist selbst einer geworden. Er hat sich all dem ausgesetzt. Seiner Sündhaftigkeit, Schwachheit und Sterblichkeit, seiner Stärke, Besonnenheit und Macht. Darum weiß er, wie es uns ergeht, wenn wir klein sind. Darum weiß er, was es anrichtet, wenn jemand größenwahnsinnig ist.

Es gibt einen Ausweg.

Er ist das Licht. Vor ihm hat nichts Bestand.

Umkehr heißt nicht, die Schatten zu verdrängen oder sich in ihnen zu suhlen.

Umkehr heißt:

Im Licht sein und hinschauen. Beide Wege verlassen. Sich und die Welt akzeptieren.

Umkehr heißt:

Verletzt sein, aber heilen. Und heilen lassen.

Angst haben, aber getröstet werden und Hoffnung haben.

Dummheiten und Fehler begehen, aber Vergebung erfahren und nachts schlafen können. In Frieden.

Unvollständig, kraft- und machtlos sein, aber Gott, seine Kraft und Macht und die Einheit mit ihm spüren.

Bedeutungslos sein, aber geliebt werden. Als ganzer Mensch, mit allen Ecken und Kanten, seien sie noch so spitz und scharf.

Abhängig sein, aber gehalten werden. Egal, was passiert. Einen doppelten Boden haben.

Sündhaft sein, aber erlöst werden. Aus göttlicher Gnade heraus.

Sterben, aber doch ewig leben. Mit Gott. In seinem Reich.

Amen.

Alexander
Dozent in der Erwachsenenbildung ~ Referent ~ Theologe

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