Sie erinnern sich vielleicht noch an die Beerdigung von Königin Elisabeth II. von England. Ihnen ist wahrscheinlich auch die pompöse Gestaltung aufgefallen. Kilometerlange Züge quer durch die Stadt, tausende Menschen stehen am Straßenrand und weinen, haben teils sogar dort campiert. Unendlich viele Soldaten laufen in Reih und Glied hinterher, in bunten Uniformen gekleidet. Dazu spielt unendlich Trauermusik. Doch damit nicht genug: Sie lag dann nochmal drei Tage aufgebahrt in der Westminster Hall und hunderttausende Menschen haben sich von ihr verabschiedet, sich verbeugt und auch geweint, während Millionen im Internet dabei waren. „Zu viel“ haben manche kritisiert. „Zu teuer“ sei es dann schließlich auch geworden.
Ich kann die Kritik nachvollziehen, bin aber unentschlossen, ob es wirklich zu viel war. Immerhin war die Queen die bis dahin am längsten regierende Monarchin der Welt. Immerhin hat sie Generationen um Generationen geprägt. Immerhin gibt es Menschen, die nur sie als Königin erlebt haben. Außerdem ist es doch ihrem Amt angemessen. Sie war die Monarchin, die Alleinherrscherin, im Vereinigten Königreich und über das ganze Commonwealth. Und also solche verdient sie eine Beerdigung, die ihrem Status entspricht.
Auf der anderen Seite blicke ich nach Rom. Papst Franziskus, der ja ein vergleichbar hohes Amt innehat, lebt ganz bescheiden. So wohnt er nicht in der großen päpstlichen Wohnung im Palast. Er lebt stattdessen im Domus Sanctæ Martæ in Rom, in einer „normale[n] Weise des Zusammenlebens mit anderen.“ Sein wichtigstes Thema ist die Bescheidenheit: Deshalb werden zum Beispiel die Fahrzeuge im Vatikan sehr genau beobachtet. Bereits am Abend der Wahl ist der in den Bus gestiegen, anstatt sich chauffieren zu lassen. Man traut sich nicht mehr, die Luxuslimousinen zu nutzen, denn Franziskus lässt sich in einem gebrauchten Ford durch den Vatikan fahren. Er bekam einmal einen Renault R4 von einem Priester geschenkt, und der gehört seit dem zum Fuhrpark des Heiligen Stuhls.
Doch auch dem Papst und seinem Status wäre es eigentlich angemessen, in Luxus und Prunk zu leben. Eigentlich wäre er es ebenso wert und könnte so vielleicht noch besser die Würde seines Amtes verkörpern, als wenn er in einfachsten Verhältnissen lebt. Doch mit seiner Lebensweise verkündigt er Jesus Christus.
Auch in unserer alltäglichen Welt gilt: Status ist alles, wer hat, der zeigt, „wer Jogginhose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Stellen Sie sich vor, eine Geschäftsführerin fährt mit einem Cityroller zu einem wichtigen Geschäftstermin! Oder ein Schüler kommt mit einem Tesla zur Schule! Kleider machen Leute! Ohne Markenklamotten, was stellt man damit schon dar? Kleide dich nicht für den Job, den du hast, sondern für den Job, den du willst.
Behalten Sie das im Hinterkopf, behalten Sie im Hinterkopf, was Franziskus lebt, wenn Sie die Geschichte von Jesu drittem und letztem Einzug in Jerusalem hören:
Verlesung des Predigttextes: Joh 12, 12–19
II. Wallfahrt nach Jerusalem
Die Juden pilgern jedes Jahr nach Jerusalem. Das ist so üblich, denn dort findet zentral das Passahefest statt. An Passah erinnern sich die Juden an den Exodus, den Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus der Sklaverei.
Die Menschen sind sehr lange unterwegs gewesen, sind quer durch die Wüste gereist, um nach Jerusalem zu kommen.
Dabei singen sie ausgelassen Wanderlieder und Psalmen: Hosianna! Gelobt ist, der da kommt im Namen des Herrn! Sie singen sich diese Grüße gegenseitig zu.
Jesus ist auch mit dabei, schwimmt aber in der Masse mit. Vielleicht wird er erkannt, vielleicht auch nicht. Er spielt zunächst keine Rolle.
Doch dann bricht plötzlich Unruhe aus. Sie tuscheln: „Ist das nicht dieser Jesus von Nazareth?“ Er wird erkannt, zumindest von manchen.
Die anderen wundern sich, denn sie begreifen es nicht. Sie stellen fest: Alle Welt läuft ihm nach.
III. Einholung des Königs
In der Menge breitet sich eine Nachricht aus:
Jesus von Nazareth ist hier!
Plötzlich dreht sich die Stimmung:
Die Menschen freuen sich nicht mehr,
weil sie endlich angekommen sind.
Sie bejubeln nun diesen Jesus,
sie nehmen Palmzweige,
von Palmen geschnitten,
und rufen ihm zu:
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn,
Der König Israels.
Die Straßen füllen sich,
mehr und mehr,
überall Palmzweige,
überall Jubelrufe,
Menschen, so weit das Auge reicht.
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.
Der König Israels.
Die Menschen drängen sich,
dicht an dicht,
und reden untereinander:
Wer ist dieser?
Er steigt auf ein Eselchen.
Doch die Menschen verstehen nicht.
Er reitet voraus in die Stadt.
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.
Der König Israels.
Sie fragen sich:
Ist es nicht der,
der Lazarus auferweckt hat?
Die,
die dabei waren,
die dieses Wunder mit angesehen haben,
antworten:
Ja!
Er hat Lazarus auferweckt!
Der war vier Tage tot
– und hat schon gestunken –
und er rief ihn aus dem Grab
und Lazarus kam heraus.
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn.
Der König Israels.
Unser Befreier.
Sie verstehen nicht:
Was hat er für eine Macht?
Während Jesus auf einem Eselchen in die Stadt reitet.
Und alle Welt läuft ihm nach.
IV. Kleiner König
Der Esel, auf dem Jesus reitet, denkt sich:
Warum ist es hier so laut? Die Menschen stehen auf der Straße und rufen und jubeln. Und dieser Mensch auf mir, der ist viel zu schwer!
Ich verstehe überhaupt nicht, was das soll. Wieso sollte überhaupt jemand auf mir reiten wollen? Schließlich bin ich doch nur ein kleiner Esel, klein und viel zu jung.
Warum rufen die denn eigentlich so laut? Ich habe den Eindruck, sie jubeln dem Menschen auf mir zu. Als hätte er etwas Großartiges geschafft…
Ich habe so etwas schon oft gesehen, wenn Reiche und Mächtige ankommen, dann stehen die Menschen auch auf der Straße und jubeln und erheben die Palmzweige. Aber hier? Dieser Kerl ist doch bestimmt weder mächtig noch reich noch wichtig.
Was soll das? Das macht doch überhaupt keinen Sinn.
Die jubeln ihm zu wie einem König. Hätte er dann nicht ein Pferd nehmen können, das auch viel stärker wäre? Und sich etwas Besseres anziehen können? So paßt das doch überhaupt nicht zusammen.
Was ist das denn bitte für ein König, der auf mir daherkommt? Wie mächtig kann der schon sein?
Er muß aber etwas Besonderes an sich haben… Und die Menschen spüren das offenbar, denn alle Welt läuft ihm nach.
V. Schluß: Wie soll ich dich empfangen?
Die Menschen sind ausgelassen vor Freude auf das nahende Fest. Sie singen Psalmen als Wallfahrtslied und grüßen einander mit dem Hosianna aus Ps 12.
Soweit so normal und üblich. So geschieht es an jedem Passahfest. Was aber nicht normal ist, ist der Auftritt Jesu, den niemand so richtig versteht. Denn das Bild des Jesus auf dem Esel ist so vielfältig. Wo man auch hinblickt, man entdeckt eine neue Facette.
Zunächst wird Jesus als normaler Pilger beschrieben, als gläubiger Jude, einer von vielen. So wie es eben üblich ist.
Unter den Pilgern sind aber noch andere Menschen dabei. Und die müssen die Auferweckung des Lazarus miterlebt haben und sind so sehr davon begeistert, daß sie immer wieder davon Zeugnis ablegen und diese Tat rühmen und Jesus loben. Sie stecken die Pilgermenge an, sodaß sie ihm zurufen, Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Ich glaube, daß es kein Zufall ist, daß Jesus auf dem Weg zum Passahfest auftritt. An Passah gedenken die Juden ihrer Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei. Hosianna bedeutet wörtlich: „Ach, Herr, hilf!“
Ich deute es so: Jesus kommt als Befreier nach Jerusalem, um die Menschen zu erlösen, ihnen zu helfen. Vielleicht von der politischen Herrschaft der Römer. Vielleicht auch von der Herrschaft des Todes.
Umso deutlicher wirkt der Kontrast: Dieser siegreiche König, der Befreier, der Tote auferwecken kann, der Helfer der Menschen, der mit Palmzweigen wie ein mächtiger Herrscher begrüßt wird, reitet auf einem Esel in die Stadt! Das ist, als ob der König von England auf dem Fahrrad vorfahren würde. Das ist, als würde die Geschäftsführerin mit dem Cityroller zum Geschäftsessen kommen. Das ist genau die Situation, wenn der Papst mit seinem Fiat zum Staatsbesuch kommt.
Es ist ein schräges Bild, das da gezeichnet wird, und das niemand so richtig versteht.
Die Jünger verstehen es nicht; zumindest noch nicht. Aber auch die Pharisäer können es nicht begreifen. Stattdessen verfallen sie in Verurteilung und Angst vor der römischen Invasion.
Wer ist dieser Jesus nun? Jude, Mensch und Pilger, aus armen Verhältnissen, der – wie wir wissen – später hingerichtet werden wird? Oder doch Gott, Herrscher und König, mit Vollmacht ausgestattet, der – wie wir wiederum wissen – später den Tod besiegen und selbst auferstehen wird?
Die eigentliche Frage ist: „Wie soll ich dich empfangen?“ Wie reagiere ich darauf, daß Jesus in mein Leben kommt? Wie reagiere ich darauf, daß der Befreier sanft und unscheinbar mir gegenüber tritt?
Das Verhalten der Menschen in Jerusalem gibt uns einen Hinweis: Die sind nämlich nicht einfach am Fenster stehen geblieben oder einfach weitergepilgert, ohne sich um Jesus zu scheren. Sie haben sich auch nicht darüber lustig gemacht, daß Jesus nicht standesgemäß angereist ist. Sie haben sich mitreißen lassen von den Augenzeugen, die die Auferweckung des Lazarus miterlebt haben.
Das ist es, worum es geht: sich Jesu Gegenwart bewußt werden, ihn kennenlernen, seine Heilstaten erfahren, und sich mitreißen lassen – und ihn dafür zu loben und ihm zu danken.
Eine seiner Heilstaten ist eben die Auferweckung des Lazarus. Eine andere ist sein Leiden und Sterben am Kreuz. Und sein Sieg über den Tod.
Der Evangelist Johannes weiß es schon, wir wissen es auch: Jesus wird erniedrigt werden und sterben. Auch deshalb wird Jesus als unscheinbarer König dargestellt.
Jesus will in unser Leben kommen. Er will uns nahe sein. Er will uns verwandeln und befreien: Vom Krieg, von unseren Sorgen, von der Sünde und vom Tod.
Er will, daß wir – wie die Menschen in Jerusalem – auf die Straße gehen. Ihm entgegengehen, uns begeistern lassen, ihm zujubeln und zurufen und ihn loben für alles, was er getan hat. Er will, daß wir keine Angst vor ihm haben. Denn er ist kein Heerführer, der gewalttätig sein Reich begründet und durchsetzt. Er ist ein sanftmütiger Herr, voller Gnade und Liebe.
Das bedeutet dieses schiefe Bild: Jesus Christus schenkt sich uns. Für uns. Wegen uns. Trotz uns. Als unser König, Herrscher und Befreier. Der demütig ist und sich klein macht, sich uns gleich macht, uns auf Augenhöhe begegnet. Er ist eben kein siegreicher Heerführer, unnahbar, unantastbar. Er ist für uns gekommen. Und deshalb sollen wir auf ihn vertrauen, wie die Menschen in Jerusalem, denn alle Welt läuft ihm nach.