Eine Frage gehört zu den Wesentlichen der Theologie und der Philosophie, egal welcher Konfession und welcher Prägung, aber auch der Wissenschaft und Forschung:
I. Einleitung
Wie ist das Universum entstanden und was war davor?
Die Bibel hat hier gleich zu Beginn etwas zu sagen, und weil es so wichtig ist, liefert sie das gleich in zwei Fassungen; einmal in einer Fassung der Priesterschrift, das ist der erste Schöpfungsbericht, und einmal in einer Fassung des so genannten Jahwisten, das ist dann der zweite Schöpfungsbericht.
Der Ablauf ist je unterschiedlich und auch die berühmten sieben Tage sind nur im priesterschriftlichen Bericht überliefert, im anderen Bericht ist das zumindest unklar oder bezieht sich nur auf einen einzigen Tag.
Das sei aber mal dahingestellt.
Die Schöpfung verlief jedenfalls ungefähr so:
Zunächst schuf Gott Himmel und Erde,
Tag und Nacht,
Sonne und Mond,
Sterne und Gestirne,
die Tiere des Wassers
und des Landes und schließlich den Menschen.
Was also war vor dem Anfang?
"Gott spricht und es geschieht."
Am Anfang war das Wort:
"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott." (Joh 1, 1f.)
Vor dem Anfang des Universums steht der Wille Gottes des Schöpfers zur Schöpfung selbst. Der Vorsatz, etwas zu schaffen, jemanden zu schaffen, ein Gegenüber. Und das spricht er auch aus. Und indem der HERR es ausspricht, geschieht es, die Schöpfung geschieht und wird und wird.
Von dem, was am Anfang war, erzählt auch unser heutiger Predigttext im achten Kapitel des Buches der Sprüche Salomos:
Lesung: Spr 8, 22-36
22 Der HERR hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege, ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
23 Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her, im Anfang, ehe die Erde war.
24 Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren, als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
25 Ehe denn die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln ward ich geboren,
26 als er die Erde noch nicht gemacht hatte noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
27 Als er die Himmel bereitete, war ich da, als er den Kreis zog über der Tiefe,
28 als er die Wolken droben mächtig machte, als er stark machte die Quellen der Tiefe,
29 als er dem Meer seine Grenze setzte und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl; als er die Grundfesten der Erde legte,
30 da war ich beständig bei ihm; ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
31 ich spielte auf seinem Erdkreis und hatte meine Lust an den Menschenkindern.
32 So hört nun auf mich, meine Söhne! Wohl denen, die meine Wege einhalten!
33 Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind!
34 Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich, dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
35 Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom HERRN.
36 Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.
II. Weisheit
"Weisheit" – das ist so ein großes Wort. Gibt es das heute überhaupt noch? Oder heißt Weisheit inzwischen "Google?" Oder "Wikipedia?"
Wer ist denn heute noch wirklich weise?
Weisheit ist nicht Wissen, soviel ist klar.
Doch dieses Wort wird höchstens noch abfällig verwendet, etwa in: "Die hat wohl die Weisheit mit Löffeln gefressen."
Im heutigen Predigttext und drumherum hat die Weisheit eine zentrale Rolle:
Sie wohnt bei der Klugheit,
ist wichtiger als alles Gold und Silber der Welt,
besser als Perlen,
toller als alles, was man zu wünschen vermag.
Die Weisheit gibt den Mächtigen, Herrschern und Propheten ein, wie sie zu entscheiden haben.
Sie ist die Gerechtigkeit.
Sie ist das Recht.
Bei ihr ist Reichtum und Ehre.
Und diese Weisheit war schon immer da: vor aller Schöpfung, bevor auch nur irgendetwas in diesem Universum geworden ist. Noch bevor der Herr mit der Schöpfung angefangen hat. Bevor er seine mächtigen Worte sprach und aus dem Nichts das Alles machte.
Der Weisheit gegenüber steht die Torheit, als das Böse schlechthin.
Vielleicht ist die Weisheit Gott selbst? Oder der Heilige Geist?
Besonders für die Weisheitsliteratur im alten Testament, quasi ihr Fundament, ist der Tun-Ergehen-Zusammenhang:
Auge um Auge,
Zahn um Zahn.
Wie du mir, so ich dir.
So wie man tut, so wird es einem ergehen.
Wer Gutes tut, dem wird Gutes passieren,
wer Böses tut, dem wird Schlechtes passieren.
Die Weisheit ist es, die hier Orientierung schafft, die auf den Weg der Rechtschaffenheit, des Guten und Gerechten führt.
Wenn also die Weisheit schon immer war, noch vor dem Anfang, dann drückt sich darin eines aus:
Die Welt ist verlässlich, konsequent. Jede Handlung hat eine direkte Folge. Aus einem folgt das andere, alles hat seine Wirkung und jede Wirkung hat ihre Ursache.
Und weil dieser Zusammenhang erbarmungslos ist, muss man weise handeln, klug sein und das Richtige tun. Denn wer sie "verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod."
III. Die neue Schöpfung
Ich glaube, der alttestamentliche Schreiber dieses Textes über die Weisheit hat die ganze Sache zu eng gesehen, zu gesetzlich. Da ist keine Freiheit, da ist keine Liebe. Weisheit ist Gottesfurcht, so sagte man. Ich glaube, das ist nicht das, wie Gott wirklich ist, da ist kein Evangelium drin, das ist reines Gesetz.
Aber zunächst ist es nachvollziehbar, dass man das so geglaubt hat:
So wie in alter Zeit geglaubt wurde, dass die Erde eine Scheibe sei, weil man von einem Berg zum Beispiel um sich herum nur eine Scheibe sieht, die bis zum Horizont reicht.
Da hat sich inzwischen recht eindeutig herausgestellt, dass dieses Weltbild falsch ist.
So auch mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang, so auch mit der Weisheit:
In unserer Welt ist es ja eigentlich auch so, dass jede Entscheidung ihre Folgen hat und jede Folge ihre Ursache.
Wenn jemand keine Wohnung findet, dann hat das eine Ursache. Vielleicht ist er nicht seriös genug oder sie wirkt nicht zuverlässig genug, oder die beiden haben Kinder, oder gar Haustiere. Oder können die überhöhten Mieten nicht zahlen.
Wenn jemand keine Arbeit findet, dann hat er eben nichts Gescheites gelernt, dann strengt er sich nicht genug an, ist noch nicht genügend aus-, fort-, weiter- oder umgebildet, muss sich mehr bemühen, immer mehr Bewerbungen schreiben. Hätte er halt studiert, sich nur ein bisschen mehr angestrengt, jeder kann es schaffen, vom Tellerwäscher zum Millionär.
Und wenn sich jemand kein Haus leisten kann, kein Vermögen aufbauen kann, dann hat er eben den falschen Beruf gelernt, war nicht gut genug in der Schule, hat sich halt nicht genug angestrengt, schließlich kann es jeder schaffen; der kapitalistische Traum!
In unserer Welt herrscht ein massiver Tun-Ergehen-Zusammenhang, zumindest in den kapitalistischen Köpfen:
Wer am sozial schwachen Ende der Gesellschaft steht, der hat sich halt nicht genug angestrengt. Der gehört da auch hin! Was muss ich die durchfüttern?
Wer vor dem Krieg oder der Armut flieht, der geht halt nur den leichteren Weg. Soll er doch dortbleiben und kämpfen? Familie, Kinder? Paperlapapp! Der soll sich mal nicht so haben, muss sich halt ein bisschen mehr anstrengen, hätte er, würde er.
Wer vor dem Klimawandel flieht, der muss sich nur etwas mehr anstrengen, nicht so viel Plastik produzieren, ist doch ganz einfach, weniger Strom verbrauchen, weniger Wasser.
Wer drogenabhängig oder krank ist, muss sich nur etwas zusammenreißen. Andere schaffen’s ja auch!
Wer im Alter arm ist, der hätte sich nur zu Lebzeiten bemühen müssen. Oder lebt auf zu großem Fuß.
Selbst schuld also.
So geht der Tun-Ergehen-Zusammenhang: Wem Schlechtes widerfährt, der muss Böses getan haben. Alles hat seine Konsequenz, seine Folge und seine Ursache.
Und der Tun-Ergehen-Zusammenhang ist grausam. Er kennt keinen Spielraum. Da ist keine Gnade.
Wir denken schwarz und weiß, wir trennen, wir unterscheiden, wir beurteilen. Unser ganzer Verstand tut den ganzen Tag nichts anderes, als in gut und böse, richtig und falsch, angenehm und unangenehm, nützlich und nutzlos, gesund und krank, erlaubt und verboten zu unterscheiden.
Doch, und da irren wir uns, so einfach ist es alles nicht.
Und wenn ich mit meinen Mitmenschen so richtig im Herzenskontakt bin, dann merke ich auch, dass diese Fixierung auf ein offensichtliches gutes Leben, auf Leistung und Erfolg nicht weit trägt.
IV. ein anderes osterlied
"das könnte manchen herren so passen
wenn mit dem tode alles beglichen
die herrschaft der herren
die knechtschaft der knechte
bestätigt wäre für immer
das könnte manchen herren so passen
wenn sie in ewigkeit
herren blieben im teuren privatgrab
und ihre knechte
knechte in billigen reihengräbern
aber es kommt eine auferstehung
die ganz anders wird als wir dachten
es kommt eine auferstehung die ist
der aufstand gottes gegen die herren
und gegen den herrn aller herren, den Tod"
–– Kurt Marti
V. TAS
Ich habe gestern eine Dokumentation über ein Projekt für Obdachlose gesehen:
Die Diakonie Hamburg lädt Obdachlose zu einem "Urlaub" in einem Selbstversorgerhaus ein. Anreise per Zug, Unterkunft in Drei-Bett-Zimmern und die Verpflegung übernimmt die Diakonie, die Obdachlosen müssen sich nur an gewisse übliche "Spielregeln" halten, mit anpacken, beim Kochen und Aufräumen.
Wie ich da den alten Jacky frisch geduscht auf seinem frisch gemachten Bett habe liegen sehen, stolz, zufrieden, glücklich, sicher und wohlbehalten, da wurde mir sofort klar, woran unsere Gesellschaft krankt:
Viele Menschen kucken herab auf die Schwächeren, auf die ohne Wohnung, Arbeit, Vermögen, die Sozial-Schwachen, die Flüchtlinge, die vom Klimawandel Betroffenen, die Drogenabhängigen und die Armen.
Wer wenig leistet oder leisten kann, der steht ganz unten und wird auch so angesehen.
VI. Erlösung
Wie das mit der Auferstehung der Toten funktioniert, weiß ich nicht. Ich glaube an die Auferstehung der Toten, will dies jetzt aber mal dahinstellen, denn darum geht es mir gerade nicht.
Viel wichtiger:
Was ist die Auferstehung heute? Gibt es die Erlösung erst später? Oder ist sie schon da? Kommt das Reich Gottes erst? Oder ist es mitten unter uns?
Wenn die Auferstehungshoffnung nur eine Hoffnung bleibt, die irgendwann, wenn es Zeit ist, eintritt, dann bleibt sie eine leere und tote Hoffnung.
Denn der Dreh- und Angelpunkt ist, dass Jesus Christus dem Tod den Schrecken genommen hat, seine Endgültigkeit, seine Unumkehrbarkeit.
Ich kann doch nur auf andere herabblicken, wenn ich von der Endlichkeit des Seins ausgehe, wenn mit dem Tod alles gleichgültig ist, alles egal, was ich im Leben getan habe.
Wenn es keinen Gott gibt, keine Erlösung.
Wenn ich zusehen muss, dass ich bis an mein Lebensende erfolgreich bin, dass ich immer weise entscheide, keine Fehler mache, dass ich immer leiste und leiste und leiste, dass ich perfekt ins System packe. Dann kann ich meine Ellenbogen auspacken und lins-rechts mich durchboxen und die Schwächeren liegen lassen. Weil ich nicht anders kann, weil es keinen anderen Ausweg gibt, als immer weiter nach oben zu streben, immer mehr zu haben und zu besitzen.
Wenn aber der Tod nicht mehr das Ende ist, dann wirkt mein Leben über ihn hinaus. Was ich hier tue, wirkt nach dem Tod auf das Leben nach ihm.
Wenn es einen Gott gibt, wenn es eine Erlösung gibt.
Dann muss ich eben gar nichts. Dann bin ich getragen von seiner Liebe, dann bin ich versorgt, wie die Vögel am Himmel, dann kann ich langsam machen, dann kann ich ruhig sein, dann kann ich in der Liebe sein, im Mitgefühl, dann kann ich einfach ich selbst sein, mit dem, was mir Spaß macht, was mir Lust bereitet, mit allem, das ich bin.
Denn der Tod macht eben nicht alles gleich und gleichgültig, hebt nicht alles auf, ist nicht die Vergebung schlechthin für alles.
VII. Wie geht die neue Schöpfung?
Diese Gedanken will ich Ihnen mitgeben:
Der Tun-Ergehen-Zusammenhang trägt nicht mehr, er ist grausam und umbarmherzig und irgendwo auch sehr eindimensional und viel einfach.
Wem Schlechtes widerfährt, der kann oftmals nichts dafür, wer obdach- und arbeitslos ist ebenso, wer nicht das Glück hatte, in eine reiche Familie geboren worden zu sein, wer nicht grundsätzlich gesund geboren wurde, wer immer gut lernen konnte.
Vieles davon ist einfach Glück.
Und deshalb als "Glücklicher" auf die "Unglücklichen" herabblicken?
Erlösung geht anders.
Durch sein Gnadenhandeln hat Jesus am Kreuz unsere Schuld beglichen, den Abgrund zu Gott hin überbrückt und uns einen Weg zurück zu Gott, abseits von Gesetz und Tun-Ergehen-Zusammenhang, allein aus der Gnade heraus.
Es geht um die Liebe. Es geht immer um die Liebe.
Es geht um den Wert eines jeden Menschen, völlig unabhängig von dem, was er geleistet hat. Jeder hat es verdient, als wertvoll angesehen zu werden.
"Beurteile einen Menschen nicht nach dem, was er leistet, sondern sieh tiefer auf das, was er leidet." — Jürgen Moltmann
Die Liebe ist der Grundstein, auf dem die neue Schöpfung gebaut wird.
Die Liebe zu den Obdachlosen, den Armen, den Flüchtlingen, den Arbeitslosen, den Kranken und Schwachen, zur Schöpfung selbst.
Er in der Liebe ist, erfährt Gnade und ist frei von aller Angst, auch vor dem Tod.
Dann heißt es: den Augenblick genießen, denn er geht so schnell vorbei. Mitgefühl haben, offen sein für andere Menschen, atmen, bei sich sein, atmen.
Das Universum ist wunderbar, wir können darin soviel lernen und erleben!
Gott der Herr hat alles wunderbar gemacht:
Himmel und Erde, Luft und Meer, die Sonne, die Vögel, das Wasser, die Menschen.
"Jauchzet Gott, alle Lande! / 2 Lobsinget zur Ehre seines Namens; rühmet ihn herrlich!" –– Ps 66, 1f.
Diese Freude über die Schöpfung, über Gott den Schöpfer und die Auferstehung Christi sei euch der Weg zur wahren echten Liebe, auf Augenhöhe, ohne Vorurteile, Bedingungen und ohne jede Angst.
Denn der Tod ist nicht das Ende.
Das ist die Gnade Gottes.
Alles, was wir tun, zählt, gilt und bleibt.
Amen.